Eine Erfolgsgeschichte: Die ketogene Diät bei Glut1-Defizit-Syndrom
Vor 35 Jahren entdeckte Dr. De Vivo das Glut1-Defizit-Syndrom bei zwei jungen Patienten mit unkontrollierbaren Krampfanfällen und niedrigen Glukosewerten im Liquor cerebrospinalis. Dies wies auf einen Defekt im Glukosetransporter Typ 1 (Glut1) hin. Eine ketogene Diät, die Ketone als alternative Energiequelle für das Gehirn nutzt, führte innerhalb einer Woche zu Anfallsfreiheit. Seitdem gilt die ketogene Diät als Goldstandard für die Behandlung von Glut1-DS. Die Symptome des Syndroms, einschließlich Anfällen, Bewegungsstörungen und kognitiven Beeinträchtigungen, verändern sich im Laufe der Zeit. Frühzeitige Diagnose und Therapie sind entscheidend für bessere Langzeitergebnisse.
Die Entdeckung des Glut1-Defizit-Syndrom
Vor 35 Jahren, im Jahr 1991, stand der Kinderneurologe Dr. De Vivo vor zwei jungen Patienten. Martin und Lisa (Namen sind erfunden) hatten Krampfanfälle, die im dritten Lebensmonat begannen. Die Behandlung mit mehreren Antiepileptika war wirkungslos. Die Kinder zeigten reduzierte Glukosewerte im Liquor cerebrospinalis (einer Substanz, die das Gehirn und das Rückenmark umgibt) im Vergleich zu ihrem Blut. Nach Ausschluss anderer Ursachen, die zu dieser Beobachtung führen könnten, vermuteten Dr. Vivo und sein Team, dass die Kinder einen Defekt im Glukosetransport zum Gehirn hatten. Tatsächlich fanden sie eine genetische Veränderung im Glukosetransporter Typ 1 (kurz Glut1), einem Protein, das benötigt wird, um Glukose zum Gehirn zu transportieren. Da Glukose normalerweise die Energiequelle ist, die unser Körper, einschließlich des Gehirns, verwendet, dachte das Team darüber nach, einen anderen Treibstoff zu verwenden. Eine ketogene Diät kann dem Gehirn diesen Treibstoff in Form von Ketonen zur Verfügung stellen (Owen et al., 1967). Innerhalb einer Woche der Therapie waren Martin und Lisa anfallsfrei (De Vivo et al., 1991). Nach dieser Erfolgsgeschichte wurde die Wirksamkeit der ketogenen Ernährungstherapie bei vielen weiteren Menschen mit Glut1-Defizit Syndrom nachgewiesen (Klepper & Leiendecker, 2007), und heute bleibt die ketogene Ernährungstherapie die Goldstandard Behandlung (Klepper et al., 2020).
Symptome und ihre Veränderung im Laufe der Zeit
Anfälle sind das Leitsymptom des Glut1-Defizit-Syndroms (kurz Glut1-DS). Sie treten bei 90% der Patienten auf (Pong et al., 2012) und sprechen nicht auf Antiepileptika an. Andere häufige Symptome sind Bewegungsstörungen, die entweder dauerhaft oder plötzlich und intensiv auftreten können und auch in ihrer Schwere variieren (Klepper et al., 2020). Bei Kindern sind plötzliche, wiederholte und kurze Kopf-Augen-Bewegungen typisch für Glut1-DS (Pearson et al., 2017). Wenn sie älter werden, neigen die Anfälle dazu, abzunehmen oder zu verschwinden, und Bewegungsstörungen werden häufiger (Alter et al., 2015) und ändern sich in ihrer Manifestation. Beim Heranwachsen werden Schwierigkeiten beim Gehen und Sprechen offensichtlich (Pons et al., 2010), bedingt durch eine schlechte Muskelkontrolle. Bei mehr als 70% der Patienten werden plötzliche und intensive repetitive Bewegungen beobachtet (Klepper et al., 2016), die durch Fasten (z.B. beim Aufwachen), nach körperlicher Anstrengung oder durch Stress ausgelöst werden (De Giorgis et al., 2015). Im Vergleich zu ihren Altersgenossen können kognitive Fähigkeiten bei Glut1-DS Patienten beeinträchtigt sein. Dies kann zu intellektuellen Rückständen führen, die in ihrer Schwere variieren, und mit dem Gesamtbild der Erkrankung korrelieren (Leen et al., 2010). Die ketogene Ernährungstherapie hat sich als wirksam bei der Behandlung des gesamten Spektrums der Symptome erwiesen. Wichtig ist, dass je früher die Therapie begonnen wird, desto besser sind die langfristigen Ergebnisse für die Patienten (Alter et al., 2015), und daher ist eine frühzeitige Diagnose entscheidend!
Arten der ketogenen Ernährungstherapie bei Glut1-DS
Da sich das klinische Bild von Glut1-DS im Laufe des Lebens des Einzelnen ändert und die Datenlage von Erwachsenen mit Glut1-DS begrenzt ist, wurden Empfehlungen für die Art der ketogenen Ernährungstherapie aufgrund klinischer Erfahrungen gemacht (Klepper et al., 2020). Bei Säuglingen und Kleinkindern wird eine klassische ketogene Diät bevorzugt, die zu hohen Ketonwerten führt, da das sich entwickelnde Gehirn mehr Energie benötigt (Kim et al., 2016). Bei Erwachsenen und Jugendlichen, bei denen die Korrelation zwischen Ketonwerten und dem ketogenen Verhältnis weniger stark ist (Porper et al., 2021), könnte die modifizierte Atkins-Diät (kurz MAD) angemessener sein, um die Einhaltung der Ernährungstherapie zu fördern und Lebensqualität zu erhöhen, da sie weniger restriktiv ist (Kim et al., 2016).
Da MCTs stark ketogen sind (Harvey et al., 2018), könnten sie in eine ketogene Ernährungstherapie integriert werden, um die Ketose zu steigern und die Diät für Kinder und Erwachsene Glut1-DS-Patienten weniger restriktiv zu gestalten. Ein kürzlich veröffentlichter Fallbericht zeigt den erfolgreichen Einsatz von MCTs bei einer erwachsenen Patientin namens Lidia (Name erfunden), die als Kind an medikamentenresistenter Epilepsie litt und immer noch morgens Anfälle hat. Im Alter von 47 Jahren wird bei ihr Glut1-DS diagnostiziert. Lidia hat auch Probleme beim Gehen langer Strecken, beim klaren Sprechen und leidet unter plötzlichen, unkontrollierten Bewegungen. Die Ärzte konnten ihre Symptome signifikant reduzieren, und zwar mit einer kohlenhydratarmen Diät (60 g/Tag) die reich an MCTs (20% des Gesamtenergiebedarfs) ist. Lidia zeigt auf, dass selbst Erwachsene, die spät mit Glut1-DS diagnostiziert werden, von der ketogenen Ernährungstherapie profitieren können (Nabatame et al., 2024).
Es gibt drei verschiedene Kategorien von neurologischen Symptomen bei Glut1-DS: Epilepsie, Bewegungsstörungen und kognitive Störungen. Die klassische Präsentation von Glut1-DS umfasst alle drei Kategorien, während mildere Formen nicht alle Kategorien betreffen und das Spektrum der Symptome im Laufe der Zeit verändern kann (adaptiert von Pearson et al., 2013). Die ketogene Ernährungstherapie ist nützlich, um das gesamte Spektrum der Symptome zu behandeln und hat bei Epilepsie die höchste Wirksamkeit, mit einer Reduzierung von Krampfanfällen um mehr als die Hälfte bei 95% der Glut1-DS-Patienten (Kass et al., 2016).
Quelle:
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